Dienstag, 12. Juni 2018

Ann Christine steuert und schreibt

Holz
Steuerfrau
Norbert als Schleusenmaurer
Holzhaus





Eindrücke aus Nikolskij und Plotichnoe

Von Mandrogi aus sind wir nach Nikolskij und dann weiter nach Plotichnoe gefahren. Endlos weite Wälder säumen den Swir, die Sonne glitzert auf dem Wasser und die Seeschwalben kreuzen unseren Weg. Kanada- Fans würden sicherlich auch in Russland auf ihre Kosten kommen! Die Natur hier ist wirklich wunderschön. Wir passieren 2 Brücken und zwei Schleusen. In der zweiten Schleuse macht Norbert ein bisschen 'Soft-Refurbishment'. Er rupft ein paar lose Steine aus der Schleusenmauer, damit unsere Leon beim Schleusen keine Kratzer bekommt. Die Schleusen sind halt eher für große Berufsschiffe, als für kleine Segelyachten ausgelegt und tatsächlich war die Yacht von Chris, die einzige andere Yacht, die uns auf unserer Russlandreise bisher begegnet ist. Zwei rüstige, 70jährige Rentner aus Finnland machen eine ähnliche Tour wie wir, allerdings mit dem Paddelboot (sie sind uns um Längen voraus - aber daran ist natürlich der Wind Schuld, auf den wir nicht immer zählen können). Ansonsten sehen wir ca. drei Berufsschiffe pro Tag und genießen die endlose Weite, die wir quasi für uns haben. Touristen gibt es hier nicht und wenn der Motor aus ist und die Segel gesetzt sind, genießen wir einfach die friedliche Stille Russlands (was es nicht alles gibt).

Am Flussufer befindende sich vereinzelt ein paar Holzfabriken und ein paar Siedlungen. Nikolskij und Plotichnoe sind zwei von ihnen, wo wir jeweils eine Nacht verbringen.

Während St. Petersburg mit seiner Leichtigkeit, Schönheit und Eleganz so ziemlich alles zu bieten hat, was in den aktuellen Nachrichten zum Thema Russland nicht vorkommt, ist das Leben auf dem Land in Russland ein völlig anderes (wobei auch hier Erwartungen auf den Kopf gestellt werden). Bei den Häusern in den Siedlungen handelt es sich um einfache Holzhütten. Stromversorgung gibt es (seit neuester Zeit sogar mit Isolierung - Putin bringt das Land voran). Wasserversorgung in den Häusern ist aber nicht unbedingt Standard. Auf den Straßen begegnen uns Menschen mit Eimern und Kanistern, die unterwegs sind, um Wasser an den örtlichen Brunnen zu holen. Straßen sind häufig nicht gepflastert. Dafür gibt es aber auch wenig Verkehr. Wir laufen teils zu fünft nebeneinander auf der Hauptstraße oder sehen Kinder, die unbeaufsichtigt auf den Straßen spielen. Hunde und Katzen laufen umher. In den Gärten wird Gemüse angepflanzt. Irgendwie scheint die Welt hier in Ordnung zu sein.

In Nikolskij legen wir an einer ehemaligen Werft an. Hier stehen auch ein altes Raketensilo und ein Überwachungsturm. Überbleibsel aus früheren Zeiten, ebenso wie die Lenindenkmäler, die verstohlen über die Schleusenmauer blicken und uns grüßen, sobald in der Schleuse der höhere Wasserstand erreicht wird. Gelegentlich kommen Anrufe von Vladimir, der sich nach unseren Plänen und unserem Wohlergehen erkundigt. Russland scheint sich in den letzten 20 Jahren vom Überwachungsstaat zum 'Nanny State' entwickelt zu haben, wie die Australier sagen würden. Für uns bedeutet das, dass wir über jeden Handlungsvorgang beim Schleusen über Funk informiert werden (Das Tor schließt sich jetzt. Nun wird Wasser eingelassen. Auch an das Tragen von Schwimmwesten wird in den Schleusen angemahnt). Ich fühle mich ein wenig an das von London vertraute 'Mind the gap' oder das in Sheffield neu eingeführte 'It is no longer safe to cross the street' erinnert, das beim Umschalten der Ampel von grün auf rot ertönt. Die gezogene Parallele zum englischsprachigen Westen ist an dieser Stelle durchaus gewollt.

Anders als im Westen, und vor allem anders als in Deutschland, entpuppen sich die Russen immer wieder als Quasselstrippen. Betrachtet man jedoch die Tatsache, dass jeder Überholvorgang hier ewig weit im Voraus angekündigt und ausgiebig diskutiert wird, ist dies aber vielleicht wenig verwunderlich. Hier ist wie gesagt wenig los, die Leute scheinen per 'du' zu sein.

Und wie sind die Russen sonst so? Mit dem Grüßen tun sie sich zugegebenermaßen ein bisschen schwer. Ein ernstes Gesicht strahlt in diesem Land wohl Seriosität und Verbindlichkeit aus. Lächeln ist weniger populär. Angeblich verkürzen die Russen selbst in der digitalen Welt das international bekannte Smiley Zeichen :-) auf ) . Nur nicht zu viel des Guten!

Nichtsdestotrotz verbirgt sich hinter der schroffen Fassade der Russen oft überraschende Freundlichkeit. In Plotichnoe liegen wir vor Anker. Der Hafenmeister erlaubt uns trotzdem nach Belieben die Dusche am Steg zu nutzen. 'Fühlt euch einfach wie zu Hause'. Im selben Ort treffen wir auf eine Familie, die uns nach kurzem Plausch ihren Spaten leiht, mit dem sich unser russischsprachiger Mitsegler Viktor dann daran macht, nach Würmern zu graben. Norbert möchte angeln. Da dies - zumindest vorläufig - nicht von Erfolg gekrönt ist, gibt es am Abend Würstchen zum Kartoffelsalat.

Um Mitternacht stoßen wir mit einem Glas Vodka an. Die Mitternachtssonne steht am Himmel (dunkel wird es hier oben im Norden nicht mehr), über YouTube hören wir die Nationalhymne. Heute ist Russlandtag - der Nationalfeiertag überhaupt.

In diesem Sinne: Russische Grüße von der Leon de Mar von der Steuerfrau.

P.S. Das Kochen überlasse ich lieber anderen. Ist unterhaltsamer. )

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